Kotter-Accelerate als Beispiel für erfolgreiche Koexistenz von Hierarchien und Netzwerken

Netzwerke und Hierarchien in erfolgreicher Koexistenz

Hierarchische Organisationsformen sind auf Vorhersagbarkeit entwickelt worden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie den „Tanker auf Kurs halten“. Gleichzeitig widersetzen sie sich dem Wandel und verstärken somit den Status Quo. Sind Netzwerke hierzu wirklich echte Alternativen – oder bedarf es nicht vielmehr einer Koexistenz beider Organisationsformen – also Netzwerke und Hierarchien zusammen?

Können Netzwerke Hierarchien wirklich ersetzen?

Es gibt viele Gründe, warum ehemals sehr erfolgreiche Unternehmen innerhalb der letzten Jahre mehr und mehr verschwunden sind: Märkte haben sich radikal verändert, Branchen konsolidierten, neue Geschäftsmodelle wurden entwickelt, neue Wettbewerber entstanden, etc. 40 Jahre Forschung an der Harvard Business School legen allerdings nahe, dass ein vielfach unterschätzter Grund auch darin liegt, dass diesen Unternehmen die passende Organisationsstruktur fehlte, um sich rasch und flexibel genug den veränderten Bedingungen anzupassen. Denn die klassischen Hierarchie-Formen, die ja schon im 19. Jahrhundert entwickelt wurden, sind nach wie vor bis heute die dominierende Organisationsform. Aber taugen die Hierarchien noch zur Steuerung in einer VUCA-Welt?

Fakt ist, dass hierarchische Organisationsformen auf Vorhersagbarkeit entwickelt wurden und sich dadurch auszeichnen, dass sie den „Tanker auf Kurs halten“ und sich gleichzeitig dem Wandel widersetzen und somit den Status Quo verstärken. Aber genau das ist heutzutage, in einer sich immer schneller veränderten Welt, sehr risikoreich.

Deshalb hat die Wirtschaftsakademie die Idee des „Netzwerkes“ als Lösung nach mehr Agilität aufgegriffen, und diese mit unterschiedlichsten Unternehmensberatungen und diversen „Gurus“, die über „führerlose Teams“, „grenzenlose Organisationen“ und „Holokratie“ schreiben, diskutiert. Bereits seit 2012, als John Kotter sein Accelerate-Konzept in der Harvard Business Review veröffentlichte, wissen wir um die mächtige und notwendige Idee eines Netzwerkes. Aber die Leidenschaft bei der Auseinandersetzung mit diesem Konzept zeigte folgende beide Problemfelder:

  1. Das (versehentliche) Ersetzen von Hierarchien durch Netzwerke.
  2. Und das Over-Engineering bei der Netzwerk-Generierung mit präskriptiven formelhaften Ansätzen.

Die Bedeutung von „UND“ für Netzwerke und Hierachien

Sehr oft verordnen Organisationsleiter und Berater Netzwerke als Schlüssel für organisatorische Leiden. Damit versuchen sie, Hierarchien durch führerlose und/ oder kollektive Netzwerke zu ersetzen, um Mitarbeiter zu „befähigen“ selbständig die vorhandenen Informations-Silos aufzulösen. Als Ergebnisse lassen sich dann allerdings oftmals Verwirrung, Frustration und bestenfalls glanzlose Ergebnisse konstatieren.

Aber hier geht es nicht um das „Entweder Hierarchien Oder Netzwerke“ sondern vielmehr um das UND beider Organisationsformen, denn nur so treiben sich Hierarchien und Netzwerke gegenseitig an, um die Organisation dabei zu unterstützen, ihr eigenes Potential zu erweitern.

ZAPPOs Ausflug in die Holokratie

Nehmen wir hierzu ZAPPOS Ausflug in die Holokratie als Case-Study. Das Unternehmen implementierte eine komplexe Netzwerkstruktur und verwandelte 150 Business-Units in 500 „Kreise“, um die gleichen Aufgaben zu erfüllen. Das Ziel war eine verbesserte Zusammenarbeit in einer weniger isolierten Organisation. Obwohl einige Ziele erreicht wurden, sorgte das ganze Konstrukt doch für erhebliche Verwirrung bei den Mitarbeitern. In 2016 verließen dann ca. 20% der Mitarbeiter frustriert das Unternehmen, die Fluktuationsquote stieg sogar auf 30% an. Die Folge: Das Unternehmen wurde nach 8-jähriger Mitgliedschaft in der „Fortune’s 100 Best Companies to Work-Ranking“ ausgeschlossen.

 

Symbiotische Beziehung zwischen Hierarchie und Netzwerk

Es geht also darum, die Stärken beider Organisationsformen in einer Art „Symbiose“ – also die Effektivität und Widerstandsfähigkeit von Hierarchien mit der Flexibilität und Agilität von  Netzwerken – miteinander zu kombinieren. Denn nur so können sich Netzwerke und Hierarchien gegenseitig positiv beeinflussen, um das eigene Potential zu erweitern, sich an Marktveränderungen rasch anzupassen, neue Bedrohungen gemeinsam zu bekämpfen und somit zu einem echten „Gravitationszentrum“ zu entwickeln, das zu einem ernsthaften Wettbewerbsvorteil führt.

Symbiose zwischen Netzwerken und Hierarchien veranschaulicht durch eine Schildkröte auf dem Rücken eines Krodokils.
via ARIS on STERN View Community vom 29.09.2011

Kultur erschaffen, statt Veränderungen zu befehlen

Falscher Führungsreflex bei Netzwerken

Viele Führungskräfte springen reflexartig darauf an, Hierarchien durch Netzwerkstrukturen zu ersetzen. Und viele Unternehmensberatungen bieten dann auch noch Konzepte an, mit denen das Mission-Statement so formuliert wird, dass Verantwortlichkeiten delegiert und starke Teamleiter die Zusammenarbeit zwischen den Teams fördern sollen. Aber Warum ist das so? Die Ursache für dieses Problem liegt im „Top-Down-Ansatz“ mit dem diese Konzepte umgesetzt werden. Denn dieser Ansatz neigt dazu, mehr davon zu produzieren, als eigentlich nötig wäre: Somit entstehen eher durch Zufall neue Hierarchien als ein echtes Netzwerk. Und diese erzeugen dann – ironischerweise – auch oftmals noch mehr Bürokratie! Ein Wahnsinn, oder nicht?!

Anstatt den Auftrag oder die Mission zu delegieren, den Teams und ihren Mitgliedern Rollen und Verantwortlichkeiten zuzuweisen und die dafür notwendige Kultur aufzubauen (übrigens alles prima Aktivitäten, die einer Hierarchie helfen würden) – sollten Organisationen stattdessen Teams befähigen, ihre eigenen Ziele zu setzen, ihre eigenen Aufgaben zu definieren und sich flüssig zu organisieren. Und das Ganze sollte doch so erfolgen, dass dies in einer Art und Weise erfolgt, die direkt mit der strategischen Ausrichtung der jeweiligen Führungsebene verknüpft ist und die vor allem die Fähigkeiten der Organisation und ihrer Mitarbeiter geschickt nutzt.

Netzwerke abseits von Hierarchien – Photo by Helena-Lopes-592971-on Unsplash
Netzwerke abseits von Hierarchien – Photo by Helena-Lopes-592971-on Unsplash

Aber wer ist eigentlich der Richtige für derartige Netzwerke?

Bei der richtigen Auswahl zweckmäßiger Netzwerker sollte auf keinen Fall Titel, Stehzeit im Unternehmen bzw. auf der jeweiligen Position oder deren Sachkenntnis im Fokus stehen. Vielmehr sollte der Mut, auch unbequeme Dinge offen und ehrlich anzusprechen, besondere Beachtung finden. Diese „einsamen Wölfe“ sollten in dem Netzwerk sein, sind es allerdings nicht immer. Denn die Zuweisung von Führungskräften zum Netzwerk, nimmt die Freiwilligkeit aus dem Prozess heraus. Die ist aber für seine Entstehung, sein Überleben und seinen Erfolg wesentlich ist. Zudem wird die Tonalität von „wollen“ auf „müssen“ verschoben.

Einsamer Wolf für Netzwerke und Hierarchien – Photo by Nick Karvounis on Unsplash
Einsamer Wolf für Netzwerke und Hierarchien – Photo by Nick Karvounis on Unsplash

Die Netzwerkstruktur sollte mit Blick auf die jeweiligen Rahmenbedingungen der Organisation zusammengeführt werden. Das darf aber nicht dazu führen, eine Parallel-Organisation zu erschaffen. Deshalb sollten sich die verantwortlichen Führungskräfte vornehmlich damit beschäftigen, eine passende Kultur zu erschaffen, die Netzwerkstrukturen unterstützt und ihre Agilität stärkt. Dies kann sowohl durch aktives Engagement, psychologische Sicherheit und die Feier auch von kurzfristigen Gewinnen erfolgen. Diese Dinge sind viel wichtiger, als Netzwerkdesigns zu diktieren, Team-Rollen zuzuweisen und Aufträge zu delegieren.

Nur Netzwerke und Hierarchien zusammen
ergeben als Ergebnis: 1+1 = 3

All das große Interesse, Experimentieren und Denken mit Netzwerken ist für sich genommen sicherlich eine gute Sache. Doch wie auch bei vielen anderen Konzepten besteht die Gefahr, dass „Netzwerke“ zu einer bloßen Modeerscheinung werden. Die wesentlichen Fehlerquellen hierfür sind: „Übervertrauen“ in das Konzept und „Over-Enegineering“ des Konzeptes von Netzwerke und Hierarchien. Denn ein Netzplan ist kein Ersatz für die Hierarchie. Somit haben Aufbau- und Ablauforganisation parallel zu einander weiter ihre Berechtigung.

Unternehmen benötigen vielmehr heute eine Hierarchie, um mit Größe und Komplexität effektiv umzugehen. Zudem benötigen sie gleichsam effektive und effiziente Geschäftsprozesse. Die eigentliche Magie beginnt aber dort, wo Netzwerke und Hierarchien positiv und sich gegenseitig verstärkend zusammenarbeiten, um mehr zu erreichen, als irgendjemand für möglich gehalten hat. Dadurch wird die Summe aller Teile mehr als das bloße Ergebnis sein.