Inhaltsverzeichnis
Die ZEIT hat’s drin, die Welt auch, das manager magazin schreibt darüber, die SZ natürlich ebenfalls: Minimalismus. Jedes Ökomagazin findet es irgendwie faszinierend und als ich dann letzte Woche im Café über den Spiegeltitel (14/2014) „Konsumverzicht – Weniger haben, glücklicher leben“ gestolpert bin, wusste ich: Jetzt ist es also ganz offiziell „Trend“. Aber ist das tatsächlich der Fall? Seit vielen Jahren interessiere ich mich für das Thema; tolle Podcasts und unzählige Blogs bringen es einem aus erster Perspektive näher. Und als Interiorfetischist stehe ich auch auf diesen minimalistischen Vintage-Modern-Hipster-Style, der eh am besten wirkt, wenn möglichst wenig herumsteht, auch wenn der Minimlismus in der (Innen-)Architektur vom Lebensstil zu trennen ist.
Was bedeutet Minimalismus als Lebensstil?
Für alle, die gar nicht so genau wissen, was sich hinter diesem Mode-Begriff verbirgt, sei er an dieser Stelle noch einmal kurz erläutert: Beim Minimalismus geht es darum, sich von überflüssigem Besitz frei zu machen. Weniger Besitz soll dazu führen, dass man sich freier fühlt, weniger eingeengt, mit mehr Platz für das (Er-)Leben, als für materielle Dinge. Das Schöne am Minimalismus: Jeder kann ihn in seinen Maßen leben. Man muss sich nicht dafür oder dagegen entscheiden, wie beim Vegetarismus. Verzicht wäre das falsche Wort dafür, Reduktion passt besser.
Die Idee hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Man könnte meinen, in den Ländern mit dem größten Wohlstand sind die Menschen am Glücklichsten. Das stimmt aber nur bedingt und trifft insbesondere auf Deutschland nicht zu. Die Deutschen liegen auf der weltweiten Glücksrangliste gerade mal im zweiten Drittel. Betrachtet man Ost und West getrennt, liegen die neuen Bundesländer sogar in der zweiten Hälfte der Weltrangliste. Es wird also dringend nach Rezepten für ein glücklicheres Leben gesucht. Deshalb kommt das Thema wahrscheinlich so gut an.
Sebastian Michel ist Mr. Minimalist und einer der bekanntesten Minimalismus-Blogger in Deutschland. „Bekannt aus ZDF, SZ, n-tv und ZEIT“ verrät mir seine Seite. Gegenüber dem manager magazin sagte er: „Es kommt nicht darauf an, wie viele Dinge man besitzt, sondern wie sehr einen die Dinge besitzen.“ Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Doch wie können einen Dinge besitzen? Jeder kennt es, jeder hat diese Erfahrung schon gemacht. Da ist zum Beispiel die Gitarre, die seit langer Zeit mehr oder weniger unangetastet herumsteht und einem bei jedem Drüberwischen ins Ohr flüstert: „Eigentlich müsstest du mal wieder Gitarre spielen.“ Da ist ein Stapel ungelesener Bücher, die ebenfalls verlangen gelesen zu werden. Das Motorrad in der Garage, die Staffelei und der Farbmalkasten, die ärmellose Jacke aus dem letzten Jahr, das Raclette-Gerät, die Skier. (Fast) jeder Mensch hierzulande besitzt Dinge, zu deren Benutzung er sich mehr oder weniger zwingen muss, damit sich ihre Anschaffung „gelohnt“ hat. Diese Gedanken sind durchaus eine Belastung, ein weiteres To-Do im Kopf, wenn auch nur am Rande. Mit der Abschaffung dieser Dinge fängt der Minimalismus an. Wo er aufhört, ist jedem selbst überlassen. Manch einer macht sogar erst Stopp, wenn er weniger als 200 oder 150 Dinge an. Doch auf die Zahl kommt es nun wirklich nicht an.
Mehr Schein als Sein
Doch mal ehrlich: Auch wenn mich das Thema interessiert und fasziniert, als Minimalist würde ich mich keinesfalls bezeichnen. Ich habe noch genug Zeug, das ich nicht brauche. Ich arbeite allerdings an langfristiger Reduktion – ehrlich jetzt! Es wird immer ein bisschen weniger. Jede Investition kommt auf den Prüfstand: Brauche ich das wirklich? Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umschaue, kenne ich jedoch niemanden, der dem Minimalismus etwas abgewinnen kann, geschweige denn so lebt. Ich bin mir sogar sicher: Die meisten haben sich nicht einmal mit dem Thema beschäftigt. Ein Blick auf das Konsumverhalten der Deutschen liefert die Bestätigung: Privatleute haben 2013 mehr Geld für Konsum ausgegeben als je zuvor: 1,57 Billionen Euro. Im Vergleich zum Jahr 2000 entspricht das einer Steigerung von 31,6 Prozent. Der Trend zu mehr Konsum ist also ungebrochen und deckt sich mit meinem persönlichen Eindruck.
Warum wird der Trend ausgerufen?
Jetzt stellt sich die Frage, warum die großen Medien trotzdem einen Trend ausmachen – seit Jahren übrigens. Erstens verkauft sich das Thema gut. Die Menschen sind durchaus an Konsumverzicht interessiert und suchen mit jeder Finanzkrise stärker nach Alternativen. Deshalb wurde z. B. „das Kapital“ von Karl Marx während und nach der Finanzkrise verstärkt nachgefragt. Zweitens spielt Glück und Selbstverwirklichung gerade bei jungen Menschen eine größere Rolle als je zuvor. Und in der Glücksforschung scheint an dem „weniger ist mehr“ tatsächlich etwas dran zu sein. Drittens gibt es viele Websites und wirklich tolle Blogs und Podcasts, in denen Minimalisten – und solche die es werden wollen – ihren Weg zum neuen Lebensstil inklusive aller Konsequenzen aufzeigen. Und auch dazu aufrufen: „Probiert es, es tut gut.“ Viertens ist das Thema für die Presse leicht zu behandeln. Ruck zuck sind ein paar Meinungen eingeholt, und der Selbstversuch des Journalisten für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr minimalistisch zu leben garniert das Ganze. Nur durchsetzen tut es sich noch nicht. Aber wer weiß, Vegetarier waren auch mal belächelte Exoten.
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Die ZEIT hat’s drin, die Welt auch, das manager magazin schreibt darüber, die SZ natürlich ebenfalls: Minimalismus. Jedes Ökomagazin findet es irgendwie faszinierend und als ich dann letzte Woche im Café über den Spiegeltitel (14/2014) „Konsumverzicht – Weniger haben, glücklicher leben“ gestolpert bin, wusste ich: Jetzt ist es also ganz offiziell „Trend“. Aber ist das tatsächlich der Fall? Seit vielen Jahren interessiere ich mich für das Thema; tolle Podcasts und unzählige Blogs bringen es einem aus erster Perspektive näher. Und als Interiorfetischist stehe ich auch auf diesen minimalistischen Vintage-Modern-Hipster-Style, der eh am besten wirkt, wenn möglichst wenig herumsteht, auch wenn der Minimlismus in der (Innen-)Architektur vom Lebensstil zu trennen ist.
Was bedeutet Minimalismus als Lebensstil?
Für alle, die gar nicht so genau wissen, was sich hinter diesem Mode-Begriff verbirgt, sei er an dieser Stelle noch einmal kurz erläutert: Beim Minimalismus geht es darum, sich von überflüssigem Besitz frei zu machen. Weniger Besitz soll dazu führen, dass man sich freier fühlt, weniger eingeengt, mit mehr Platz für das (Er-)Leben, als für materielle Dinge. Das Schöne am Minimalismus: Jeder kann ihn in seinen Maßen leben. Man muss sich nicht dafür oder dagegen entscheiden, wie beim Vegetarismus. Verzicht wäre das falsche Wort dafür, Reduktion passt besser.
Die Idee hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Man könnte meinen, in den Ländern mit dem größten Wohlstand sind die Menschen am Glücklichsten. Das stimmt aber nur bedingt und trifft insbesondere auf Deutschland nicht zu. Die Deutschen liegen auf der weltweiten Glücksrangliste gerade mal im zweiten Drittel. Betrachtet man Ost und West getrennt, liegen die neuen Bundesländer sogar in der zweiten Hälfte der Weltrangliste. Es wird also dringend nach Rezepten für ein glücklicheres Leben gesucht. Deshalb kommt das Thema wahrscheinlich so gut an.
Sebastian Michel ist Mr. Minimalist und einer der bekanntesten Minimalismus-Blogger in Deutschland. „Bekannt aus ZDF, SZ, n-tv und ZEIT“ verrät mir seine Seite. Gegenüber dem manager magazin sagte er: „Es kommt nicht darauf an, wie viele Dinge man besitzt, sondern wie sehr einen die Dinge besitzen.“ Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Doch wie können einen Dinge besitzen? Jeder kennt es, jeder hat diese Erfahrung schon gemacht. Da ist zum Beispiel die Gitarre, die seit langer Zeit mehr oder weniger unangetastet herumsteht und einem bei jedem Drüberwischen ins Ohr flüstert: „Eigentlich müsstest du mal wieder Gitarre spielen.“ Da ist ein Stapel ungelesener Bücher, die ebenfalls verlangen gelesen zu werden. Das Motorrad in der Garage, die Staffelei und der Farbmalkasten, die ärmellose Jacke aus dem letzten Jahr, das Raclette-Gerät, die Skier. (Fast) jeder Mensch hierzulande besitzt Dinge, zu deren Benutzung er sich mehr oder weniger zwingen muss, damit sich ihre Anschaffung „gelohnt“ hat. Diese Gedanken sind durchaus eine Belastung, ein weiteres To-Do im Kopf, wenn auch nur am Rande. Mit der Abschaffung dieser Dinge fängt der Minimalismus an. Wo er aufhört, ist jedem selbst überlassen. Manch einer macht sogar erst Stopp, wenn er weniger als 200 oder 150 Dinge an. Doch auf die Zahl kommt es nun wirklich nicht an.
Mehr Schein als Sein
Doch mal ehrlich: Auch wenn mich das Thema interessiert und fasziniert, als Minimalist würde ich mich keinesfalls bezeichnen. Ich habe noch genug Zeug, das ich nicht brauche. Ich arbeite allerdings an langfristiger Reduktion – ehrlich jetzt! Es wird immer ein bisschen weniger. Jede Investition kommt auf den Prüfstand: Brauche ich das wirklich? Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umschaue, kenne ich jedoch niemanden, der dem Minimalismus etwas abgewinnen kann, geschweige denn so lebt. Ich bin mir sogar sicher: Die meisten haben sich nicht einmal mit dem Thema beschäftigt. Ein Blick auf das Konsumverhalten der Deutschen liefert die Bestätigung: Privatleute haben 2013 mehr Geld für Konsum ausgegeben als je zuvor: 1,57 Billionen Euro. Im Vergleich zum Jahr 2000 entspricht das einer Steigerung von 31,6 Prozent. Der Trend zu mehr Konsum ist also ungebrochen und deckt sich mit meinem persönlichen Eindruck.
Warum wird der Trend ausgerufen?
Jetzt stellt sich die Frage, warum die großen Medien trotzdem einen Trend ausmachen – seit Jahren übrigens. Erstens verkauft sich das Thema gut. Die Menschen sind durchaus an Konsumverzicht interessiert und suchen mit jeder Finanzkrise stärker nach Alternativen. Deshalb wurde z. B. „das Kapital“ von Karl Marx während und nach der Finanzkrise verstärkt nachgefragt. Zweitens spielt Glück und Selbstverwirklichung gerade bei jungen Menschen eine größere Rolle als je zuvor. Und in der Glücksforschung scheint an dem „weniger ist mehr“ tatsächlich etwas dran zu sein. Drittens gibt es viele Websites und wirklich tolle Blogs und Podcasts, in denen Minimalisten – und solche die es werden wollen – ihren Weg zum neuen Lebensstil inklusive aller Konsequenzen aufzeigen. Und auch dazu aufrufen: „Probiert es, es tut gut.“ Viertens ist das Thema für die Presse leicht zu behandeln. Ruck zuck sind ein paar Meinungen eingeholt, und der Selbstversuch des Journalisten für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr minimalistisch zu leben garniert das Ganze. Nur durchsetzen tut es sich noch nicht. Aber wer weiß, Vegetarier waren auch mal belächelte Exoten.