Out of Order - Kolumne

Der Iran öffnet sich, innerlich und äußerlich

In Sachen Weltpolitik scheint sich der Erdball erstmalig seit Jahren (oder Jahrzehnten?) in die richtige Richtung zu drehen. Der Iran und „der Westen“ nähern sich an. Bereits vor einigen Monaten habe ich mich in meiner Kolumne mit der Wahl Ruhanis zum iranischen Staatspräsidenten beschäftigt. Sein Wahlsieg wirkte wie ein Hoffnungsschimmer. Vielleicht käme es mit ihm tatsächlich zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Westen, einer Öffnung von innen und damit zur Entspannung auf der weltpolitischen Bühne. Nun ist das Jahr noch nicht einmal vorbei und schon gibt es ein Atomabkommen zwischen dem Iran und den fünf UN-Vetomächten plus Deutschland. Entpuppt sich das Abkommen tatsächlich als der erhoffte Durchbruch, stehen wir gerade an einem historischen Wendepunkt – auch wenn das vielen noch nicht klar ist. 

Des einen Beleidigung ist des anderen Freude

Als die USA kurz vor Beginn der offiziellen Atomgespräche in Genf bekanntgaben, dass es bereits seit einigen Monaten geheime Gespräche mit dem Iran gegeben hatte, zeigten sich Israel und Frankreich verärgert. Welch trotzige Reaktion. Objektiv gesehen hat es nur Vorteile, wenn sich die wichtigsten Partner über die groben Inhalte eines möglichen Abkommens bereits geeinigt haben: Zum einen zeigt es das beidseitige Interesse an einem echten Fortschritt, zum anderen wären die Atomverhandlungen sicher nicht erfolgreich beendet worden, wenn man bei null angefangen hätte. So hingegen wurde in kürzester Zeit eine einvernehmliche Lösung gefunden, die selbst Frankreichs Präsident Hollande schließlich als „bedeutenden Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnen konnte.

Bisher wurde nur der Übergang geschaffen

Das Genfer Atomabkommen ist vorerst nur eine Übergangslösung für die nächsten sechs Monate. Es handelt sich also keineswegs um eine endgültige Lösung. Ein halbes Jahr lang wird der Iran sein Uran nicht mit mehr als fünf Prozent anreichern, Bestände mit einem Anteil von mehr als fünf Prozent müssen verdünnt oder vernichtet werden. Kontrolleure bekommen weitreichende Zugänge und der Schwerwasserreaktor in Arak darf nicht in Betrieb genommen werden. Im Gegenzug werden Sanktionen gelockert, die einem Handelsvolumen von rund fünf Milliarden Dollar entsprechen. So viel zu den Eckpunkten des Abkommens. Eigentlich ein Erfolg für die Weltpolitik. Doch während alle Beteiligten das Abkommen als Erfolg feiern, bezeichnet Israels Ministerpräsident Netanjahu das Papier als „historischen Fehler“. Langsam sollte eigentlich kein Zweifel mehr bestehen, dass die israelische Regierung kein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung hat. Israel möchte dem Iran jedes Recht auf Urananreicherung absprechen. Iran ist aber Teil des Atomwaffensperrvertrags. Dieser sieht einerseits vor, dass Atomwaffen nicht weiter verbreitet, sondern abgerüstet werden sollen, andererseits beinhaltet er aber auch das Recht auf ein ziviles Atomprogramm. Über 190 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet, nur vier Atommächte nicht: Indien, Pakistan, Nordkorea und? Israel.

NPT Participation

Unterzeichner und Nichtunterzeichner des Atomwaffensperrvertrags. Nordkorea (orange) hat seine Unterschrift zurückgezogen. By Allstar86 (Own work) [CC-BY-SA-3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons

Der Blick in den Iran

Neben den Atomverhandlungen ist völlig in den Hintergrund gerückt, was gerade im Iran selbst passiert. Ruhani hat veranlasst, dass die Sittenpolizei keine Verhaftungen mehr vornehmen darf, nur weil die Kleidung einer Frau nicht den islamischen Vorschriften entspricht. Was hier selbstverständlich erscheint, bedeutet im Iran einen riesigen Fortschritt.

Ruhani zeigt mehr und mehr, dass sein Wille nach politischer Entspannung ernst gemeint ist. Und angesichts der neuesten Entwicklungen verliert die Behauptung Israels, der Iran wolle Israel vernichten, mehr und mehr an Substanz.

Atomverhandlungen und Lockerung der Kleiderordnung scheinen von De-facto Staatsoberhaupt Ali Chamene’i abgesegnet zu sein (postet gern Links in den Kommentaren, die diese Aussage be- oder widerlegen). Letztendlich bringt einen das zu der Frage: Was bringt den bisherigen geistlichen Hardliner Chamene’i zu seinem plötzlichen Kurswechsel in Richtung Weltoffenheit und Verhandlungsbereitschaft?