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Stiftung Neue Verantwortung – Think Tank & Leadership Lab

Eine aktuelle Studie der Stiftung Neue Verantwortung aus Berlin zeigt über die Befragung zahlreicher Top-Führungskräfte in Deutschland, dass 18-Stunden-Tage, enormer Druck, und ein dabei zumeist völlig abgeschottetes Arbeiten die Regel und nicht mehr die Ausnahme ist. Deshalb geht die Studie auch den Fragen nach: Wo bleibt da der Blick über den Tag hinaus und warum eine nachhaltige Vernetzung zwischen Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zur Förderung der Führungskultur in Deutschland wichtig wird.

Hintergründe zur Stiftung

Die stiftung neue verantwortung e.V. ist ein gemeinnütziger Think Tank mit Sitz in Berlin. Gegründet 2008,  ist deren Ziel die Förderung des interdisziplinären und sektorübergreifenden Denkens entlang der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen und Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Neben zehn ausgewählten Forschungsprojekte, die jeweils seine Laufzeit von einem Jahr haben, wird durch die Stiftung ein Associate- und Fellow-Programm betrieben. Im Kursprogramm „Leadership Lab“ besuchen Fellows und Associates unterschiedliche Seminare und Trainings. [4. Curriculum 2010-2o12, PDF]

Die Stiftung finanziert sich  über diverse Unternehmen und andere Stiftungen. Förderer sind u.a. die Energieunternehmen EnBW AG und Thüga AG, der Chemie-Konzern Lanxess AG und das Personalunternehmen Egon Zehnder GmbH sowie der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, die BMW Stiftung Herbert Quandt und die Stiftung Mercator.

Aktuelle Studie: „Jeder für sich und keiner fürs Ganze?“

Warum wir ein neues Führungsverständnis in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft brauchen?

Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft neigen zur Abschottung; konstruktive Zusammenarbeit zwischen diesen Sektoren ist zumeist Fehlanzeige. Als Grund hierfür weisen die Verfasser der Studie auf einen eklatanten Mangel an echten Persönlichkeiten hin, wenn es darum geht, einzelne Schnittstellen zwischen diesen Bereichen wirkungsvoll und kompetent zu besetzen. Zudem fehlt es sogar an einer gemeinsamen Führungskultur – und dass obwohl bei der Lösung der relevanten Zukunftsfragen eine vertiefte Zusammenarbeit notwendig ist. Gleichzeitig wird durch die Befragten ernüchternd festgestellt, „dass die Vernetzung zwischen diesen Bereichen noch nicht tragfähig sei und sich eine entsprechende Führungskultur erst noch entwickeln müsse.„[1. Pressemitteilung stiftung neue verantwortung vom 17.04.2012]

Dazu sprachen die drei Projektpartner stiftung neue verantwortung e.V., Egon Zehnder International und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung mit insgesamt dreißig deutschen Spitzenführungskräften, darunter Minister, Verfassungsrichter, Vorstandsmitglieder führender deutscher Unternehmen, Präsidenten von Forschungseinrichtungen, Unternehmensgründer, hochrangige Kirchenvertreter, Vertreter des Militärs und Vorsitzende großer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die Anforderungen an die Führung sind nach Aussagen der Befragten innerhalb der letzten Jahrzehnte vor allem in den folgenden drei Bereichen deutlich gestiegen:

  1. Abschottung, in Teilen sogar gegenseitige Abneigung, der einzelnen Sektoren untereinander
  2. Steigende Komplexität aufgrund immer stärkerer interner Verknüpfung
  3. Fehlende Zeit aufgrund fehlender Auszeiten

Die Gründe hierfür sehe ich Autoren im wesentlichen in den Aspekten der folgenden Grafik:

Steigende Komplexität von Führung [2. Führungsstudie, a.a.O.; S. 7]

Problembereiche

Viele Entscheider fühlen sich aufgrund der komplexen Welt getrieben und es fehlt ihnen zumeist die Zeit zur Reflexion. 18-Studen-Tage sind die Regel, nicht die Ausnahme. Damit wird der erfolgreiche Umgang mit dieser Belastung zu einem entscheidenden Auslesekriterium für die weitere Karriere; d.h. das „Last-man-Standin-Prinzip“ gilt und die Härtesten sind erfolgreicher gegenüber den Mitbewerbern mit den größten Führungsqualitäten.

Die Grenzen mit Bezug zu den eigenen Tätigkeiten, Märkte und Produkte geraten ins Wanken. Jeder hat verstanden, dass man alleine nicht weiterkommt, aber dennoch finden die Führungskräfte nur selten übergreifend und schwierig zueinander. Darüber hinaus mangelt es an einem gemeinsamen Leitbild, wie sektorenübergreifende Führung gemeinschaftlich gestaltet werden kann. Haben die nationalen Eliten gar versagt?

Das Autorenteam des Think Tanks vermeidet allerdings den Elitenbegriff. Vielmehr konzentriert man sich dort auf die Gestaltung einer neuen netzwerkbasierten Führungspraxis in Deutschland. Zudem sollen sich die Führungskräfte zu ihrem übergreifenden und verantwortungsbewussten handeln bekennen. Dazu sind die Führungsstrukturen anzupassen und auf die dazu erforderlichen Werte auszurichten. Die erfolgt mittels folgender Leitfragen:

  1. Welche Strukturen sind erforderlich für ein deutlich stärker gesellschaftsbezogenes, sektorübergreifendes Denken, Verstehen und Handeln?
  2. Wie kann eine werteorientierte Führung erfolgen?
  3. Welche Anreize müssen dazu geschaffen werden?

Da sich die obersten Führungskräfte der Großorganisationen immer mehr von den unmittelbaren Belangen und Bedürfnissen der Basis entfernen, sollen sie sich grundsätzlich als Dienstleister verstehen und grundsätzlich umdenken.

Umdenken ist notwendiges Gebot

Die Autoren mahnen daher zum Umdenken: „Einsames Entscheiden, starre Strukturen und allein am kurzfristigen Gewinn orientiertes Handeln sollten der Vergangenheit angehören.“ [2. Pressemitteilung, a.a.O.; S.1.]  In Zukunft komme es vielmehr darauf an, netzwerkorientiert zu führen, Menschen einzubinden und über den eigenen Sektor hinaus zu denken. Aus den Ergebnissen der Befragung entwickelten die Autoren neue Lösungsansätze, die sie anschließend mit weiteren Experten und Praktikern auf ihre Anwendbarkeit hin überprüften.

Ginge es nach den Autoren, dann sollten Organisationen anders aufgebaut und geleitet werden. „Gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs hören gute Führungskräfte zu, erarbeiten gemeinsam Ziele und Werte und geben so klare, von allen getragene Orientierung. Nicht Geld und Boni binden exzellente Fach- und Führungskräfte nachhaltig, sondern Gestaltungsfreiräume, eine lebendige Unternehmenskultur und Sinn“[3. Ebenda. ], so Dr. Markus Baumanns, Präsidiumsmitglied der Stiftung Neue Verantwortung und Mitautor der Studie.

Die Einbindung unterschiedlichster Anspruchsgruppen in den Entscheidungsfindungsprozess unterstreicht zudem die notwendige Vielfalt von unterschiedlichen Denk- und Handlungsansätzen. Nicht die Kontrollierbarkeit von Organisationen, sondern das zielgerichtete Denken in unterschiedlichen Eventualitäten und Szenarien helfe nachhaltig ein übergeordnetes Ziel zu verfolgen.

Letztlich komme es vor allem auf den gemeinsamen „Schulterschluss“ der Verantwortlichen an. Zur Überwindung der einzelnen Fesseln wird daher empfohlen, für Politiker verlängerte Amtsperioden und in der Wirtschaft eine konsequentere Kopplung der Bonuszahlungen an den langfristigen Erfolg des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu koppeln.

Vorschläge zu einem neuen Führungsverständnis

Die Führungskräfte sollen sich die folgenden Praktiken zu eigen machen und sich daran messen lassen. Dazu wird Führung auf drei unterschiedlichen Ebenen verordnet, ein neues Führungsverständnis je Ebene operationalisiert und entsprechende Empfehlungen zur Umsetzung abgeleitet:

Individuelle Führungspraxis

  • Schaffung von Zeit und Raum für Reflexionen (z.B. durch regelmäßige Termine mit kritischen Sparingspartnern)
  • Fokussierung der eigenen Energie auf Komplexitäts- und Zukunftsmanagement (z.B. durch ein deutliches Mehr an aktivem Zuhören und Nachfragen, um die eigenen Annahmen zu überprüfen bzw. zu hinterfragen)
  • Vernetzung über Sektorengrenzen hinweg (z.B. durch die Gewinnung und den Einsatz von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Sektoren um sich herum)

Führen von Organisationen

  • Befähigung der Mitarbeiter hin zu einer gegenseitigen Vertrauens-, Wertschätzungs- und Beteiligungskultur (z.B. die gewünschte Kultur vorleben und das Vertrauen vorstrecken).
  • Schaffung von Kohärenz und Zuversicht durch Orientierung und Sinnstiftung (z.B. auch in Krisenzeiten klare Positionen beziehen und sich auf die Werte der Organisation berufen).
  • Aufbau von robusten und gleichzeitig flexibler Organisationsstrukturen, die schnell auf Veränderungen reagieren können (z.B. durch die Hebung und Orchestrierung von kollektiver Intelligenz und Kreativität mittels selbst organisierter, bereichsübergreifender Innovationszellen).
  • Investition in systemisches Komplexitätsmanagement, um das Denken und Handeln in Eventualitäten und Szenarien zu fördern, und dadurch zusätzliche Handlungsmöglichkeiten zu erhalten (z.B. Fehler- und Lernkultur entwickeln und durch Feedback-Verfahren auf allen Ebenen unterstützen).

Führen von Gesellschaft

  • Ausrichtung der Führung an Langfristigkeit und Gemeinwohl (z.B. durch Anpassungen von Vergütungen/ Boni, Amtsperioden etc.).
  • Förderung des Austausches zwischen den Sektoren zur Stärkung der Zusammenarbeit und des kooperativen Wettbewerbs (z.B. durch durch Austauschprogramme Einblicke und gegenseitiges Verständnis stärken).
  • Förderung der Ausbildung der nötigen Führungskompetenzen auf allen Ebene (z.B. durch verstärkte Förderung sozialer Kompetenzen bereits in der schulischen Bildung).

Bewertung

Die Studie deckt m.E.n. mittels der Analyse der Interviews keine wirklich neuen Aspekte auf. Warum sollen die Führungskräfte auch andere Erkenntnisse aufdecken als die Medien und jeder einzelne Bürger in unserer gegenwärtigen Gesellschaft, der regelmäßig seinen Alltag reflektiert. Die Gesellschaft driftet ja nun schon seit Jahren aufgrund unterschiedlicher Ursachen mehr und mehr auseinander. Allerdings weisen die Autoren dieser Studie mit ihren Vorschlägen auf interessante und nachdenkenswerte Aspekte hin, mit derer das gegenwärtige Dilemma überwunden werden könnte. Persönlich freut mich zudem auch das Erkennen der sog. Freiburger Schule bzw. dem Ordoliberalismus bei dem einen oder anderen Autor, demnach die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht umgekehrt.

Dennoch bleiben einige zentrale Aspekte unklar:

  • Welche Werte bilden den gemeinsamen Kanon?
  • Ist es überhaupt in einer zunehmend globalisierten Welt noch möglich und auch erstrebenswert, ein nationales Führungsverständnis herauszubilden? Oder sind hier nicht vielmehr internationale oder gar supranationale Ansätze erforderlich?
  • Führung muss und kann man größtenteils lernen. Dies erfolgt erfolgt gerade und besonders dadurch, dass man (Führungs)Fehler machen kann, diese dann kritisch reflektiert und daraus dann Folgerungen für sein eigenes, künftiges Handeln ableitet. Dies geschieht allerdings in der sozialen Interaktion in der Führungssituation. Von daher bedarf es neben der Bildung und Erziehung auch einer entsprechenden Kultur. Diese gilt es sektorübergreifend zu fördern und weiter auszugestalten.
  • Die von den Autoren getroffenen Empfehlungen umsetzungsorientiert, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Allerdings werden hierbei keine Ziele gebildet und auch keine Teilziele operationalisiert. Damit fehlt mir bisher persönlich der fähigkeitsorientierte Ansatz zur nachhaltigen Ausprägung sektorübergreifender Führungskompetenz.

Deshalb rege ich folgende, ergänzenden Betrachtungen an:

  • Ein gemeinsamer Wertekanon ist gleichsam Basis und Norm für die persönliche Freiheit
  • Bildung und Erziehung von Fähigkeiten hin zur Handlungskompetenz bilden die Klammer
  • Vertrauen in die eigenen Stärken ist der Antrieb bzw. Katalysator zur Weiterentwicklung
  • Regelmäßige, kritische Reflektion der eigenen Schwächen ist das Regulativ bzw. dient dem Controlling
  • Förderung von Bescheidenheit als eine Kerntugend für den respektvollen Umgang mit anderen

Insgesamt begrüße ich aber die Studie, da sie viele Anregungen gibt.  Abschließend wünsche ich den Autoren für ihre weitere anwendungsorientierte Überprüfung ihrer Erkenntnisse alles Gute und weitere spannende Erkenntnisse.

 

Quellen: